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Die Entstehung des Maßschuhs
Der Leistenbau
Die Arbeit des Maßschuhmachers beginnt lange vor der eigentlichen Schuhherstellung. Er muß am Fuß des Kunden genauestens Maß nehmen, damit der zu fertigende Schuh den individuellen Eigenschaften des Fußes perfekt entspricht. Aus den Maßen des Fußes stellt der Maßschuhmacher einen genau passenden Leisten her.
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Die Entstehung des Maßschuhs
Das Modellieren
Jedes Detail, das den Fuß des Kunden kennzeichnet, wird auf diesen Leisten übertragen; er wird zum Unikat, das nur einer Person perfekt paßt. Von der Form des Holzleistens wird dann eine zweidimensionale Abbildung gefertigt, anhand derer die Größe der Schaftteile bestimmt werden kann.
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Der Schaftbau
Auch den Schaftteilezuschnitt übernimmt der Maßschuhmacher. Je nach Modell, zum Beispiel für einen schönen, klassischen Full Brogue, werden die einzelnen Schaftteile sorgfältig mit ihrem typischen Lochmuster perforiert. Die Kanten der Schaftteile werden dann ›ausgeschärft‹, das heißt, mit einem äußerst scharfen Messer am Rand ausgedünnt, damit sie sich beim Schaftfertigen leichter steppen lassen und das Oberleder somit nicht drückt.
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Die Seele des Schuhs
Die eigentliche ›Schuhmacherei‹ beginnt dann bei der Brandsohle, der ›Seele‹ des Schuhs. Sie wird vom Schuhmacher entsprechend der Leistenform aus Leder zugeschnitten. Die Brandsohle wird vor ihrer Anbringung an den Leisten ›geglast‹, also mit einem Glasstück abgeschabt, damit sie weich und flexibel wird.
Mit der Narbenseite dem Fuß zugekehrt, wird die feuchte und etwas durchgeklopfte Brandsohle dann an den Leisten geheftet. Damit sie genau die Form der Fußsohle annimmt, muß sie anschließend kräftig über den Leisten ›gewalkt‹, also gleichmäßig Stück für Stück in jede Richtung gezogen und mit sogenannten Walkstiften festgezwickt werden.
Wenn die Brandsohle nach dieser Prozedur wieder getrocknet ist, werden die Walkstifte entfernt. Nur die Heftstifte, mit denen die Brandsohle am Leisten haftet, bleiben. Entlang der Leistenkante muß die Brandsohle nun beschnitten und dem Umriß der Fußsohle angepaßt werden. -
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Feinarbeit: Die Einstechbahn
Als Vorbereitung für das Rahmennähen wird nun auf der Unterseite der Brandsohle die Einstechbahn, mit der Schaft, Rahmen und Brandsohle später verbunden werden, eingearbeitet (das sogenannte ›Rangieren‹). Die Einstechbahn besteht aus zwei parallel verlaufenden Rißlinien, durch die später eingestochen und genäht wird. Die Fläche der Brandsohle, die später der Absatz einnehmen wird, wird dabei ausgespart.
Bei gleichmäßigem Abstand zum Rand der Brandsohle wird die äußere Rißlippe eingezeichnet und dann mit einem sogenannten Rißöffner ›geöffnet‹, also aufgestellt. Entsprechend der Tiefe des Risses wird der äußere Rand der Brandsohle nun weggehobelt (›abgelassen‹), und es entsteht eine kantige Abstufung. Anschließend wird die innere Rißlinie mit etwa 10 mm Abstand parallel zur äußeren eingeritzt und geöffnet. Auf der Innenseite dieser Rißlippe wird die Brandsohle wieder abgelassen, so daß die Einstechbahn als deutlich höher liegende Kante ringsum auf der Brandsohle verläuft.
Nun kann die Brandsohle vorgestochen werden, wobei von innen nach außen durch die Einstechbahn feine Kanäle eingearbeitet werden, die später zum Rahmennähen benötigt werden. -
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Gibt den nötigen Halt: Die Hinterkappe
Ist die Brandsohle so vorbereitet, beginnt der Schuhmacher mit der Zurichtung der Hinterkappe. Ihre Form richtet sich nach Leistenform und Schaftschnitt, ihre Höhe wird aufgrund der Lage des Außenknöchels bestimmt.
Die zugeschnittene Kappe wird auf Narben- und Fleischseite ›geschärft‹, also nach außen hin mit einem scharfen Messer ausgedünnt, damit sie sich später leichter zwischen Schaft und Futter einarbeiten läßt. Ihre Kanten werden anschließend ›geglast‹ (mit einem Glasstück abgeschabt), damit sie sich nicht durch das Oberleder durchdrücken beziehungsweise Schmerzen durch Druckstellen erzeugen.
Seitlichen Halt für den Fuß geben die sogenannten Überstemme, Lederstücke, die zwischen Vorder- und Hinterkappe eingearbeitet werden. Ihre Form und Länge richtet sich nach dem Schaftschnitt und der Länge der Kappen. Auch die Überstemme werden an den Rändern geschärft. -
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Alles muß perfekt sitzen
Bevor der Schaft mit Hinterkappe und Überstemmen an die Brandsohle gezwickt wird, muß er ›überholt‹ werden. Mit wenigen Zwickstiften wird er auf dem Leisten in Form gebracht und provisorisch befestigt, damit geprüft werden kann, ob er richtig sitzt.
Nun wird die angefeuchtete Hinterkappe zwischen Ober- und Futterleder eingebracht. Sie wird mit Kleber versehen und zwischen Schaft und Futter eingesetzt. Seitlich werden dann die Überstemme eingebracht. Vor dem Aufzwicken wird das Schaftfutter leicht mit Puder bestäubt, damit es nicht am Leisten festkleben kann und der Schuh sich nach seiner Fertigstellung besser ausleisten läßt. -
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Das Zwicken
Mit der Zwickzange werden Schaft und Futter nun über den Leisten gezogen und festgezwickt. Kleine Zwickstifte halten beide Lederschichten an der Brandsohle fest. Zunächst wird die Ferse, dann die Schuhspitze mit einigen Zwickstiften fixiert. Gezwickt wird dann von vorne nach hinten; das Fersen- und Gelenkteil mit Hinterkappe und Überstemmen wird zum Schluß gezwickt. Dabei bearbeitet man zunächst die Außenseite des Schuhs, da hier mehr Spielraum vorhanden ist. Leichtes Klopfen mit dem Hammer sorgt nach dem Zwicken für einen guten Sitz. Wichtig ist, daß sich das Oberleder faltenfrei an die Leistenform anpaßt. Nach dem ersten Zwicken wird die Vorderkappe (auch Steifkappe genannt) zwischen Ober- und Futterleder eingebracht.
Die angefeuchtete Vorderkappe wird mit Kleber bestrichen, der ihr nach dem Trocknen Festigkeit und Stabilität verleiht. Während das Futterleder auf dem Leisten festgezwickt bleibt, wird das Oberleder zurückgeschlagen und die Kappe auf der Schuhspitze angebracht. Anschließend wird die Kappe festgezwickt.
Durch Festklopfen wird der Vorderkappe Feuchtigkeit entzogen, und sie wird in Form gebracht. Überstehendes Leder wird mit einem scharfen Messer weggeschnitten und das verbleibende Leder unter der Sohle nochmals festgeklopft.
Die Zwicknägel werden mit einem Hammer umgebogen, damit sie flach auf dem Leisten liegen. Das erleichtert später das Einstechen und Nähen. Nachdem sie getrocknet ist, wird die Kappe mit einer Raspel in Form gebracht. Dann wird mit Sandpapier nachgearbeitet, damit ihre Kanten ausgeglichen werden und die Kappe sich später nicht durch den Schaft abzeichnet.
Nun muß nur noch der Schaft festgezwickt werden. Er wird über den Leisten gelegt. Man beginnt mit einer groben Zwickzange. Dann kommt die Feinarbeit: Mit einer schmaleren Zwickzange werden die Stifte einzeln entfernt und das Leder nun in kleineren Falten neu gezwickt. Dadurch werden dicke, wulstige Falten unter der Brandsohle verhindert. Ist der vordere Bereich des Schuhs gezwickt, setzt man die Arbeit seitlich und an der Ferse fort.
Das Oberleder muß beim Zwicken gut ausgereckt (gedehnt) werden, damit es beim Tragen nicht ausleiert. Wenn das komplette Oberleder fertig an die Brandsohle gezwickt ist, wird maschinell mit kleinen Klämmerchen nachgestochen. Dies garantiert einen optimalen Halt des Schuhs. -
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Vorbereitung des Rahmens
Nun bereitet der Schuhmacher den Rahmen vor, das Werkstück, das dem Schuh seinen Namen gibt. Der Rahmen, ein langes, schmales Lederband, vorzugsweise aus dem Halsbereich des Tieres, ist bei Herrenschuhen etwa zwischen acht und 14 Millimetern breit. Seine Länge entspricht dem Umriß der Brandsohle. Der Rahmen wird geglast.
Anschließend wird mit einem scharfen Beschneidemesser die Rißlinie in den Rahmen geritzt. Der Riß wird vorsichtig geöffnet und die Kante des Rahmens mit dem Brandsohlenhobel entfernt (›abgelassen‹). -
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Das Rahmennähen
Ist das Futter mit den Kappen und dem Oberleder an der Brandsohle angebracht, kann mit der Bodenbefestigung, dem eigentlichen Rahmennähen, begonnen werden. Zum Nähen verwendet der Schuhmacher einen Leinenfaden, der in Pech eingetaucht wird.
Die Stärke des Einstechdrahtes richtet sich nach der Dicke des Schaft- und Bodenleders und selbstverständlich auch nach dem Zweck des Schuhwerks, das hergestellt wird. Der Rahmen wird parallel zur Einstechnaht auf der Brandsohle angelegt. Die maschinell eingefügten Klammern werden herausgelöst. Mit der Ahle wird durch Brandsohle, Futter, Kappen und Rahmen eingestochen. Von beiden Seiten wird dann jeder Stich mit Pechdraht ausgeführt.
Dabei beginnt der Schuhmacher hinter der Absatzlinie und führt den Rahmen mit gleichmäßigen Stichen (›Kettenstich‹) außen um den gesamten vorderen Schuh herum. Jeder Stich muß fest angezogen werden, damit er, wenn der Schuh später beim Gehen strapaziert wird, auch wirklich hält.
Wenn der Rahmen festgenäht ist, wird im Fersenbereich der Schaft mit der Brandsohle vernäht. Dann wird der Rahmen um die Ferse gelegt und mit kleinen Holzstiften fixiert (›abgenagelt‹). -
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Vorbereitung der Sohle
In den hinteren Teil des Schuhs wird das Gelenkstück eingefügt. Es ist aus festem Leder und gibt dem Schuh zusätzlich Stabilität. Im Vorderfußbereich wird eine Korkschicht (›Ausballung‹) eingelegt, die federnd wirkt und es dem Fuß ermöglicht, sich sein Fußbett einzulaufen.
Nun wird die Laufsohle angebracht. Ihre Form wird anhand der Form des Schuhs aufgezeichnet. Sie wird sorgfältig unter den Schuh geklebt und festgeklopft. Die Absatzkante wird auf der Sohle eingezeichnet. Unter Aussparung des Fersenteils, an den später der Absatz befestigt wird, zeichnet und schneidet der Schuhmacher die Rißlippe zum Doppeln parallel zum Sohlenrand ein. Dann wird die Rißlippe geöffnet, also aufgestellt.
Anschließend wird zur besseren Fixierung der Fersenbereich mit kleinen Holzstiften genagelt. Nun wird der Sohlenrand beschnitten und geschliffen, damit er gleichmäßig verläuft und glatt ist. Mit dem Brenneisen wird die Sohlenstärke (der sog. Schnitt) vorbestimmt. -
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Doppeln und Absatzaufbau
Dann kann mit dem Doppeln begonnen werden. Die Laufsohle wird mit feinen Stichen an den Rahmen angenäht. Jeder einzelne Stich wird dabei sorgfältig vorgestochen.
Wenn die Laufsohle komplett gedoppelt ist, wird die Rißlippe unter der Sohle wieder geschlossen. Nun kann mit dem Absatzaufbau begonnen werden. Dazu wird der Fersenbereich des Schuhs, der später den Absatz tragen soll, aufgerauht. Dann wird der sogenannte Keder aufgebracht, ein kurzes Lederband, das nach innen hin abflacht und so die gewölbte Sohlenform ausgleicht. Der Keder wird mit kleinen Holzstiften aufgenagelt. Schicht für Schicht werden nun die einzelnen Absatzflecken aufgebracht, bis die gewünschte Höhe erreicht ist.
Der fertige Absatz wird leicht angefeuchtet und an den Rändern in Form geschnitten, die Absatzkante und der Schnitt (vorderer Sohlenrand) werden zurechtgeschnitten und geschliffen. -
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Fein gemacht!
Mit dem sogenannten Stupprad wird der angefeuchtete Rahmen nun unmittelbar am Schaftrand gleichmäßig umfahren. Das heiße Stupprad drückt sein Rillenmuster in das Leder des Rahmens ein, ein markantes Charakteristikum rahmengenähter Schuhe.
Der Schuh ist fast fertig!
Jetzt folgt der sogenannte Ausputz, vielfach auch Finish genannt. Mit Glaspapier werden Schnitt, Absatz und Sohle fein bearbeitet. Mit Glas, Brenneisen und pflegender Farbe wird der Sohlenbereich des Schuhs bearbeitet und bekommt so seinen letzten ›Schliff‹. Das Ausbrennen und Einfärben versiegelt den Schnitt und macht ihn unempfindlich gegen äußere Einflüsse. -
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Ausleistung und Fertigstellung
Anschließend wird das Oberleder mit Schuhcreme und Wasser poliert. Nach ausreichender Trockenzeit kann der fertige Schuh ausgeleistet werden.
Wenn vom Aufbau des Absatzes Holzstifte im Schuhinnenraum sichtbar sind, werden diese ausgeraspelt, damit der Kunde sie beim Gehen nicht spürt. Dann wird eine stabile Decksohle in den Schuh eingeklebt.
Nach rund zwanzig Stunden mühevoller Arbeit (Leistenzurichtung und Schaftzuschnitt nicht mitgerechnet) ist der Maßschuh fertig und kann an den Kunden übergeben werden.